WIE nicht WAS – Reflections by Dani Arnold

Steht die Geschwindigkeit über jeglicher bergsteigerischer Ethik? Das ist eine Frage, die mich seit mehr als zehn Jahren beschäftigt. Wer das Bergsteigen professionell betreibt, muss Rekorde liefern: am schnellsten, der Erste, die Jüngste... Ohne Superlative keine Publicity. Ohne Publicity keine Sponsorengelder. Doch viel zu oft werden in der Öffentlichkeit Leistungen miteinander verglichen, die nicht vergleichbar sind. Ich bin kein Mann der vielen Worte, aber dieses Thema ist mir wichtig. Darum habe ich meine Gedanken dazu zu Papier gebracht.

Es ist kein Geheimnis, dass ich viele Routen in den Bergen schneller als jemals zuvor geklettert habe.  Mir ist bewusst, dass ich dadurch bekannt geworden bin und von dieser Bekanntheit bis heute sehr viel profitiere. Ich bin unglaublich glücklich über das Privileg, so bergsteigen zu können. Und, ganz ehrlich, es macht mir auch riesig Spass, in diesem Tempo durch die grossen Wände zu klettern. 

Geht es aber nur um diese Geschwindigkeit? Um den Speed-Rekord, sprich: egal wie, einfach so schnell wie möglich zu klettern? Die Geschwindigkeit über alles zu stellen? Routen zu präparieren, um einige Sekunden schneller zu sein? Den einfachsten Weg zu nehmen? Auf Haken zu stehen? Sich an Friends hochzuziehen? Jegliche bergsteigerische Begehungs-Ethik der Geschwindigkeit unterzuordnen? Eis- und Schnee-Routen zu wählen anstelle der klassischen, „langsameren“ Felsrouten? Eigene Prinzipien abzulegen, um nur möglichst schnell zu sein? 

Meine Antwort ist: NEIN, mir persönlich geht es NICHT um Geschwindigkeit ohne Ethik. Deshalb möchte ich hier einige Punkte klären, die mir sehr wichtig sind.

Königsdisziplin Alpinismus: Challenge durch Varianten

Für mich persönlich ist ein/e gute/r Bergsteiger/in jemand, der/die über ein recht hohes Niveau in allen Disziplinen verfügt, das heisst im Fels, im Eis, im Mixed Gelände, auf hohen Bergen und in vielen Regionen der Welt unterwegs ist. Die Königsdisziplin ist für mich der Alpinismus, die Erstbegehung von neuen Routen im alpinen Umfeld, die steile Fels- und Eispassagen beinhaltet. Dabei geht es nicht nur darum, hohe Schwierigkeitsgrade in verschiedenem Gelände zu bewältigen, sondern auch um das Meistern von Unsicherheit, die Möglichkeit, es nicht zu schaffen oder sogar einen Unfall zu haben. Das ist beispielsweise ein grosser Unterschied im Vergleich zum reinen Sportklettern. Mache ich beim Sportklettern einen Fehler, falle ich ins Seil. Passiert mir der gleiche Fehler im alpinen Gelände, kann ich sterben. 

Dann gibt es natürlich viele Unterdisziplinen davon und so einige persönliche Präferenzen, schliesslich kann man auch nicht in allen Regionen der Welt alle Grunddisziplinen ausüben. Um uns zu beweisen und uns von anderen Bergsteiger/innen abzuheben, suchen wir ständig neue Wege und kreative Lösungen. Dann kommt womöglich zum Bergsteigen die Geschwindigkeit dazu – oder der Versuch, eine Route im Winter zu klettern – oder die Begehung alleine statt in der Seilschaft. All das sind Variationen des Alpinismus, um uns auszudrücken, um uns und unser Können zu beweisen. Ich suche absichtlich Situationen, welche mich fordern. Darum habe ich auch kein Interesse an einem schnellen, einfachen Erfolg. Je mehr ich investiere, desto grösser ist die Befriedigung.

Das ultimative Erlebnis: Solo oder Free Solo

Für mich ist es das ultimative Erlebnis, alleine in den Bergen unterwegs zu sein. In dieser Situation triffst du alle Entscheidungen nur für dich. Bei neun von zehn Touren ist das anders, hier entscheiden wir im Team für das Team. Etwas zusammen zu erreichen, ist fast ebenso intensiv wie der Alleingang, aber das ist ein anderes Thema. Zurück zum Solo-Klettern: Ich versuche, in den einzelnen Disziplinen ein möglichst hohes Niveau zu erreichen, um dann im komplexen Gelände genug Kraft, Technik, Ausdauer und Erfahrung zu haben. Denn nur so komme ich wie geplant ans Ziel. Die Frage ist hier: Was ist das Ziel? Sind es der Gipfel und die Zeit? Oder ist es der Prozess auf dem Weg zum Ziel? Ich bin immer glücklich auf dem Gipfel zu stehen, jedoch finde ich die Vorbereitung dazu viel befriedigender. Dabei mache ich Fortschritte, erlange wichtige Erkenntnisse, finde neue Techniken, optimiere alles. Wenn du das alles richtig gemacht hast, so denke ich, ist oben zu stehen nichts anderes als eine logische Konsequenz.

Früher habe ich mir nicht so viele Gedanken dazu gemacht. Für mich war immer klar, WIE ich ein Projekt machen will. Inzwischen gibt es immer mehr Mischformen, welche für mich alle legitim sind. Jeder kann machen, was er will und wie er will. Wenn dann aber verglichen wird, was ja meist der Fall ist, finde ich es entscheidend, was man miteinander vergleicht. Von aussen ist recht schwierig, diese Unterschiede zu erkennen. Daher versuche ich hier, meinen Stil etwas zu erklären. 

Projektplanung: Zielkonflikte, Prinzipien und Kompromisse

Wenn ich ein Projekt ins Auge gefasst habe, mache ich mir Gedanken, wie ich es anpacken möchte. Gehe ich alleine oder in der Seilschaft? Welches Material nehme ich mit? Welche Linie wähle ich? Solo oder Free Solo? Wie dokumentiere ich alles? – Über allem steht für mich der Wunsch, dass ich wieder gesund nach Hause kommen möchte. Das birgt einige Herausforderungen und Konflikte, denn einerseits möchte ich möglichst kompromisslos unterwegs sein, andererseits dabei aber die grösstmögliche Sicherheit haben. Ich möchte keine Fehler begehen, gleichzeitig aber auch ein möglichst grosses Erlebnis kreieren. Ich möchte mir persönlich zeigen, was ich kann und was ich gelernt habe. Dabei muss ich an meine Grenzen gehen. Wie bringe ich das alles zusammen? Ich muss meinen eigenen Weg dafür finden. 

Das bringt mich zu einer anderen kritischen Frage: Mache ich das Projekt für mich oder für andere? Ich lebe vom Bergsteigen, bin angewiesen darauf, dass ab und zu etwas über mich in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Das ist wichtig für mich. Jedoch bin ich nie ein Projekt aus diesem Grund angegangen. Ich war nie auf der Suche nach dem schnellen Erfolg in den Medien. Am meisten stolz bin ich dann, wenn ich etwas erreicht habe, das ich selber erarbeitet habe, und dabei meinen eigenen Prinzipien treu geblieben bin! Daher sind für mich die Begehungen von „Anubis“ und „The Hurting“ in Schottland etwas vom wichtigsten. Gerade Anubis, weil ich alles alleine entdecken wollte. Ich wusste vom Kletterführer, wo die Route ist, gezeichnet war aber nur ein Strich in einem grossen Übersichtsbild. Es wäre einfach gewesen, den Erstbegeher nach Details zu fragen, ich kenne Dave McLeod gut. Das wollte ich aber nicht! Da die Route kein fixes Material hat (ausser einen fixen Keil am Anfang), konnte ich mich auch nicht gut orientieren. Dies hatte zur Folge, dass ich in der Mitte der Wand nicht wusste, ob es jetzt gerade hoch oder rechts raus geht. Das hat mich so stark verunsichert, dass ich gestürzt bin. Ich bin gescheitert. Später habe ich in einem anderen Führer gesehen, dass die Route gerade hoch weitergeht. Ein Jahr später konnte ich sie dann erfolgreich klettern. Mir ist der Begehungsstil wichtiger als der Erfolg. 

Ein Wort noch zum grossen Unterschied von Free Solo und Solo. Solo heisst einfach alleine, ich habe das Material dabei, kann bei Bedarf sichern, usw. Free Solo heisst Verzicht auf alles beim Aufstieg: Kein Seil, kein Klettergurt, kein Karabiner, nichts. Bei einigen Free Solos habe ich allerdings im Vorfeld ein Seil am Ausstieg deponiert, um wieder nach unten zu kommen. Darauf bin ich nicht sehr stolz, das Seil hatte aber keinen Einfluss auf den eigentlichen Rekord. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich die Möglichkeit habe zu sichern oder nicht. Bei meiner letzten grossen Nordwand, der Petit Dru in Chamonix, wäre ich sehr gerne Free Solo geklettert. Das wäre für mich persönlich der Stil gewesen, wie ich es machen wollte, so wäre es richtig gewesen. In den Tagen zuvor konnte ich jedoch das Wassereis kurz unter dem Gipfel beobachten, das während des Tages auftaute und in der Nacht wieder gefror. Meist sieht man diese Stellen ganz schlecht und sie sind weniger als ein Millimeter dick. Sie bergen einige Risiken in sich. Die Ungewissheit darüber, wie diese Stellen sein würden, hat dann dazu geführt, dass ich „nur“ Solo geklettert bin. Ich habe das Seil während der ganzen Begehung nicht gebraucht. Aber ja, ich habe mich nicht getraut, diese Route zu diesem Zeitpunkt Free Solo zu klettern!

Im Fokus: Klassische Routen der Erstbegeher 

Wie schon erwähnt, war meine Sichtweise auf solche Dinge am Anfang noch nicht so klar. Beispielsweise in der Eiger-Nordwand: Ich hatte 50 Meter Seil, einen Klettergurt und einiges Sicherungsmaterial dabei, bin also solo gegangen. Zu dieser Zeit habe ich nie überlegt, Free Solo einzusteigen. Für mich war auch klar, dass ich beim Hinterstoisser-Quergang das Seil benutzen würde, um rüber zu kommen. Erst Jahre später habe ich gesehen, dass es Verhältnisse gibt – wenn auch extrem selten – bei denen der Schnee auf der Platte so stark klebt, dass man diese Links- Querung ohne Seil machen kann. Ein Fehler in Bezug auf meine Begehungs-Ethik. Wie gesagt, war das zu diesem Zeitpunkt für mich aber richtig so und ich stehe auch heute noch dazu. Was aber damals schon klar war: ich würde mich nie an einem Haken oder Schlingen einfach hochziehen, um schneller zu sein. Am Eiger haben mich zwei Kletterer gesehen, wegen denen ich über dem Wasserfall-Kamin eine Umgehung klettern musste. Diese Stelle ist sehr ausgesetzt, deutlich schwieriger als die Normalroute und hat zwei alte Haken drin. Die beiden Kletterer können bestätigen, dass ich diese Haken nicht angefasst habe. 

Ich habe alle grossen Nordwände über die klassischen Routen alleine und schnell geklettert. Warum habe ich die klassischen Routen gewählt? Weil dort die bedeutendsten Geschichten geschrieben wurden. In der Eiger-Nordwand gibt es weit über dreissig Routen, viele enden in der Hälfte auf dem Westgrat oder noch weiter unten. Diese Routen wären schneller, haben aber einfach nichts mehr mit der klassischen Linie von 1938 zu tun. Auch am Matterhorn wäre es schneller gewesen, nach der Rampe nach links hochzuklettern und dann den Normalweg zum Gipfel zu nehmen. Die Erstbegeher, die Gebrüder Schmid, sind aber genau dort weiter nach rechts geklettert, nochmals zurück in den zentralen Teil der Wand. Also habe ich auch diese Route gewählt. 

Wenn ich mir das perfekte Gelände aussuchen könnte, um schnell zu klettern, wäre das sehr harter und steiler Firn. Genauso, wie viele Routen an der Grandes Jorasses bei guten Verhältnissen sind. Die klassische Route führt aber über den Walkerpfeiler, und dort überwiegt der Fels-Anteil. Für mich war klar, ich wollte auch dort hoch. Am Badile bin ich vom Gletscher unten zugestiegen. Dass macht heute fast niemand mehr, weil zusätzlich noch das Eismaterial gebraucht wird. Erstbegeher Cassin ist aber dort hoch und nicht weiter oben reingequert! 

Zwei weitere Punkte sind mir wichtig zu erläutern: Erstens geht es darum, Routen zu präparieren und auzubouldern: Um beispielsweise den Salbit-Westgrat zu klettern, muss man einige Male abseilen. Dafür befinden sich Abseilringe dort. Wäre da stattdessen ein Karabiner platziert, welcher man öffnen könnte, spart das Zeit. Denn so könnte ich das Seil einfach einklippen in der Hälfte und abseilen anstatt das halbe Seil durch diesen Ring zu ziehen. Das war für mich aber der richtige Weg, es zu tun. 

Und zweitens geht es um die Markierungen auf der Route: Für Viele ist es ganz normal, dass man an der Schlüsselstelle eine Markierung macht, damit man weiss, wo der Griff am besten zu halten ist. Das ist auch kein Problem. Wenn ich jetzt aber ganze Routen mit Magnesium-Strichen markieren muss, um bei jedem Zug zu wissen, wo die rechte und die linke Hand hingreifen soll, finde ich das sehr unschön. 

Die Routenfindung in den Nordwänden ist teils recht komplex, je öfter ich diese Routen zur Vorbereitung klettere, desto mehr Details weiss ich und desto effizienter und schneller bin ich. Gute Bergsteiger/innen brauchen nicht Hunderte von Versuchen, um erfolgreich zu sein. Das führt dazu, dass ich beispielsweise den Badile nur zwei Mal vor dem Alleingang geklettert bin, die Comici an der grossen Zinne nur drei Mal und auch die Grandes Jorasses nur drei Mal. Beim Eiger weiss ich es nicht mehr genau, zwischen fünf bis sechs Mal, und die Petit Dru zwei Mal vor dem eigentlichen Durchstieg. Wollte ich noch schneller sein, könnte ich diese Routen auch öfters klettern, um zu trainieren. Aber für mich war dieser radikale Weg die richtige Herangehensweise.

Fazit: Fairness und Transparenz sind zentral

In den vorangehenden Abschnitten habe ich versucht aufzuzeigen, wie ich einige meiner grossen Projekte realisiert habe und was mir dabei wichtig gewesen ist.  Das ist sehr persönlich und vielleicht auch heikel, aber ich finde: Wenn du vom Bergsteigen lebst und dich mit den grossen Namen in unserem Sport vergleichen willst, ist es eine Frage der Fairness, diese Details transparent zu machen, denn nur so können die grossen Leistungen in unserem Sport miteinander verglichen werden. 

Unsere Leidenschaft bietet so unglaublich viel. Jede/r findet seine/ihre persönliche Herausforderung. Wir haben die Möglichkeit und die Freiheit, alles zu tun, was wir wollen. Die Konsequenzen dafür müssen wir aber auch selber tragen. Versucht vorsichtig zu sein, es lauern viele Gefahren in unseren Bergen, bereitet euch gut vor, geht nur mit Freunden in die Berge, welchen ihr vertraut und mit denen ihr Spass habt. Wenn ihr ganz nach vorne möchtet und vom Bergsteigen lebt, bitte seid ehrlich und transparent. Dadurch bekommt auch die interessierte Öffentlichkeit eine Chance, die Leistungen richtig wert zu schätzen.

Dani Arnold, Januar 2023

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Solo speed record on the Swiss Salbit